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Studieren mit Rheuma

„Wäre eine Ausbildung bei der Stadt oder so nicht angenehmer?“

„Auf Lehramt kann man Bio doch auch studieren. Da hast du mehr freie Zeit für dich.“

„Gilt bei praktischen Kursen im Labor Anwesenheitspflicht? Was machst du dann, wenn du einen Schub hast?“

„Was ist, wenn die Fingergelenke deiner rechten Hand sich entzünden? Dann hast du aber ein Problem!“

Ja, ein Problem hätte ich auch, wenn mich gleich ein Auto überfahren sollte. Ok, zugegeben, der Vergleich ist nicht so ganz passend: Bei meinen Schüben kommen immer noch oft neue Gelenke dazu, also scheint das Szenario wohl wahrscheinlicher, aber ich denke mein Standpunkt wird trotzdem deutlich.

All die anfangs aufgelisteten Aussagen sind Auszüge aus den vielen Reaktionen, mit denen ich mich nach meiner Entscheidung Bio zu studieren auseinandersetzen musste. Stur wie ich bin hat mich das aber nicht beeinflusst, sonst würde ich jetzt unglücklich in irgendeinem Büro in der Stadt sitzen. Dass ich in Richtung Forschung gehen wollte, habe ich schon länger gewusst.

Als auf der Suche nach dem richtigen Medikament nichts angeschlagen hat, hab ich früher den kindlich naiven Entschluss gefasst, doch selbst mal nach einem passenden Mittel zu suchen. Irgendwie dachten wir als Kinder auf der Station, dass die Medikamente für uns vom Deutschen Rheuma-Forschungszentrum kommen. Also haben wir das mal gegoogelt und uns die Mitarbeiter angeguckt, und da stand bei einigen eben „Biologe/Biologin“. Also wollte ich das auch werden. Der Plan war, dass ich Medikamente finde und die anderen Medizin studieren und Rheumatologen werden, um die Mittel dann an Patienten zu testen.. Zwar wusste ich irgendwann, dass das alles so nicht ganz richtig angedacht war, aber die Forschung hat mich trotzdem sehr interessiert, also hab ich mit dem Studium angefangen.

Bei der Uni-Wahl hab ich darauf geachtet, dass diese eine Schwerbehindertenvertretung hat. Was die machen und wie sie mir helfen können? Wusste ich nicht, aber der Gedanke, dass ich jemanden habe, an den ich mich im Notfall wenden kann, hat mich beruhigt.

Das Studium lief genau einen Monat lang super, dann kam schon der erste Schub und in den folgenden Jahren viele weitere.

Mit der Zeit hab ich einige Strategien entwickelt: Früher aufstehen, um die Morgensteifigkeit vor der Uni zu überwinden, den langen Weg zur Mensa weg lassen und abends warm essen, öfter sitzen, Pausen machen. Außerdem war es wichtig offen zu sein: Sobald die Kommilitonen Bescheid wissen, ist das Bitten um Hilfe und Unterstützung viel einfacher (und nach spätestens zwei Wochen Humpeln bekommen sie sowieso mit, dass da was nicht ganz in Ordnung ist).

In der Schule habe ich das ganze anders gehandhabt und bin durch die Unwissenheit der anderen auf viel Missverständnis gestoßen. Ein weiterer wichtiger Tipp sind Kühlpacks, die man wie Handwärmer im Winter auch unterwegs „aktivieren“ und im Internet bestellen kann. Meine Rettung.

Die Hilfe der Schwerbehindertenvertretung hab ich gar nicht gebraucht, sie berät aber beispielsweise zu Stipendien für Menschen mit Behinderung oder setzt Nachteilsausgleiche durch.

Was beim Studieren mit Behinderung auch nicht schaden kann und eine große Schwäche von mir ist, ist die Geduld mit sich selbst: In mehreren Kursen im Bachelor hing der weitere Studienverlauf von einer abschließenden großen Klausur ab. Um die mitschreiben zu dürfen, müssen alle praktischen Tage absolviert werden. Ist das nicht der Fall, holt man den verpassten Kurstag und die Klausur ein Jahr später nach und verliert somit die Studienregelzeit. Sollte heißen: Wenn du einen Schub hast, ruh dich aus, lass dich behandeln und neu einstellen und gönn dir eine stressfreie Zeit, da deine Gesundheit vor allem geht.

Was das für mich hieß: Ich lief monatelang mit einem Schub rum, um ja nicht „schlechter“ oder langsamer zu sein als alle gesunden Kommilitonen. Irgendwie muss ich meine Behinderung ja auch „ausgleichen“, mit guten Noten und der Einhaltung der Regelstudienzeit, dachte ich. Das Problem ist mir auch von vielen anderen Freunden mit chronischen Erkrankungen bekannt, dabei können wir stolz sein, dass wir trotz chronischer Erkrankung überhaupt so viel leisten! Das hab ich leider erst begriffen, als ich den Bachelor in Regelstudienzeit als eine der besten Studierenden abgeschlossen habe, meine Gesundheit aber an einem weiteren Tiefpunkt angelangt ist.

Jetzt arbeite ich an meiner Masterarbeit und bin so weit, dass ich mir meine Experimente im Labor selbst einteilen kann. Sollte ich einen Schub bekommen, lasse ich mich krank schreiben und kümmere mich um mich selbst. Studieren mit Rheuma ist nicht immer einfach, aber man muss es sich auch nicht schwerer machen als es sowieso schon ist und auf seinen Traumstudiengang muss man auch nicht verzichten.

Ob ich ein super Medikament gegen Rheuma entwickle, das sei jetzt mal dahingestellt..

Aisha

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